Bayrou bezeichnete das Votum im Vorfeld als Entscheidung zwischen „Chaos und Verantwortung“. Wie sein Vorgänger Michel Barnier hat auch er mit breitem Widerstand gegen seine Sparpläne zu kämpfen: Im Lichte der wirtschaftlichen Lage Frankreichs hatte der Zentrumspolitiker im Juli Einsparungen in Höhe von 44 Milliarden Euro für das kommende Jahr vorgeschlagen, um das Staatsdefizit auf unter 4,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken.
Mit einem Haushaltsdefizit von zuletzt 5,8 Prozent ist Frankreich weit vom europäischen Grenzwert von drei Prozent entfernt. Frankreichs Schuldenberg beträgt derzeit 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit ist Frankreich nach Griechenland und Italien das Land im Euro-Raum mit der höchsten Schuldenquote.
Bayrous Pläne sehen unter anderem vor, die öffentlichen Ausgaben mit Ausnahme der Verteidigung einzuschränken, Pensionen und Sozialleistungen einzufrieren und zwei der insgesamt elf Feiertage abzuschaffen. Gewerkschaften und die Oppositionsparteien kritisierten das Vorhaben scharf. Für Mittwoch wurde angesichts der Regierungskrise zu einem Generalstreik aufgerufen. Für den Premier ist die Vertrauensfrage eine Flucht nach vorn.
Reuters/Sarah Meyssonnier
Die Nationalversammlung wird am Montag über das Schicksal von Premier Francois Bayrou entscheiden
Bayrous „politisches Harakiri“
„Da die französische Regierung im Palais Bourbon keine Mehrheit hat, ist der Ausgang dieser Abstimmung vorhersehbar: Francois Bayrou wird sie verlieren und danach zurücktreten“, schreibt der Rechtsprofessor Christoph Schönberger in einem Gastkommentar für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. „Mit Zustimmung von Staatspräsident Macron, der die Sondersitzung anberaumen musste, begeht sein Premierminister politisches Harakiri“, schreibt er.
Die Oppositionsparteien – also die Linkspartei La France Insoumise (LFI), die Kommunisten, die Grünen, die Sozialisten und die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen – kündigten im Vorfeld an, bei der Vertrauensfrage gegen Bayrou zu stimmen. Sollte Bayrou stürzen, drängt Le Pen auf Neuwahlen: „Je schneller es wieder an die Urnen geht, desto schneller bekommt Frankreich einen Haushalt“, sagte sie am Dienstag.
Macron lehnt Neuwahlen bisher ab
Die Entscheidung für eine Auflösung des Parlaments liegt bei Präsident Macron. Obwohl das Land aktuell in drei miteinander verfeindete Blöcke geteilt ist, hat er Neuwahlen oder seinen Rücktritt bisher ausgeschlossen. Macrons zweite Amtszeit endet 2027.
Grafik: APA/ORF; Quelle: Französisches Innenministerium
Befürchtet wird, dass das derzeitige Regierungslager, das aus Mitte-rechts-Parteien besteht, bei Neuwahlen schrumpft, während Links- und Rechtspopulisten dazugewinnen. Zugleich besteht das Risiko, dass sich im Parlament erneut eine Blockadesituation ergibt.
Gleichzeitig würde auch ohne Neuwahlen eine verfahrene Situation auf einen etwaigen Nachfolger oder eine etwaige Nachfolgerin Bayrous warten. So würde der nächste Premier ebenfalls einer Minderheitsregierung vorstehen, die für jedes Gesetzesvorhaben neue Allianzen schmieden muss. Aktuell hat kein Lager die Mehrheit in der Nationalversammlung. Als Nachfolger für Bayrou sind unter anderen der konservative Justizminister Gerald Darmanin sowie Verteidigungsminister Sebastien Lecornu im Gespräch.
Bayrou und Macron mit verheerenden Umfragewerten
Bayrou hatte die Vertrauensabstimmung zuletzt als richtungsweisend für sein Land bezeichnet. Es gehe dabei nicht um seine eigene Zukunft, sondern es stehe „das Schicksal Frankreichs“ auf dem Spiel, sagte er Ende August in einem Interview mit mehreren französischen TV-Sendern. Sollte das Kabinett gestürzt werden, werde es zu einem Politikwechsel kommen. Die Folge wäre aus seiner Sicht eine „laxere“ Politik.
Sollte Bayrou am Montag tatsächlich scheitern, dann muss das nicht zwangsläufig das Ende seiner politischen Karriere bedeuten. So wurde zuletzt über ein mittlerweile viertes Antreten des 74-Jährigen bei den Präsidentschaftswahlen gemutmaßt. Geplant sei ein Antreten 2027 derzeit nicht, sagte der 74-Jährige dem Sender RTL. „Aber es bleibt eine Möglichkeit.“
„Nur noch eine Chance“
„Der bevorstehende Sturz des französischen Premierministers bedeutet, dass ihm nur noch eine Chance bleibt, seinen Traum von der Präsidentschaft zu verwirklichen“, schrieb Politico am Donnerstag. Bayrous Strategie bestehe nun darin, „sein Amt als Premierminister niederzulegen und damit zu zeigen, dass er bereit ist, aus Prinzip zu kämpfen.“ Seit Jahren spreche er sich gegen übermäßige Ausgaben aus. „Bayrou hofft, dass seine Selbstverbrennung den Weg für eine phönixgleiche Wiederauferstehung ebnen kann“, heißt es weiter.
Das Vertrauen der Bevölkerung in Bayrou und Macron litt zuletzt jedenfalls stark. Das geht aus einer Umfrage, die am Donnerstag veröffentlicht worden war, hervor. Laut der Befragung von Verian für das Magazin „Le Figaro“ kommt Bayrou auf eine Zustimmung von 14 Prozent. Das sei der „niedrigste Wert, der jemals für einen Premierminister in diesem Barometer verzeichnet wurde“, schrieb „Le Parisien“. Macrons Zustimmungswerte fielen auf 15 Prozent und damit auf den niedrigsten Wert seit 2017.